Mittwoch, 29. Juli 2015

Dankbarer Wessie

Neulich war ich mal wieder ein paar Tage in Berlin. Das hat mich zu einer fiktiven Geschichte inspiriert. Kurztextleser brauchen Geduld. Auf Papier ist sie 1 1/2 Seiten lang.

OHNE NERVEREIN

„Dankeschön!“ sagte Ulrike und grabschte sich das vollste Sektglas vom Tablett. Gierig nahm sie einen großen Schluck. Das tat gut! Jetzt erst mal die Lage peilen!
Offensichtlich ließ Tante Rose-Marie sich zur Feier ihres 75. Geburtstages nicht lumpen. Ihre Zeiten als arme Ossi-Verwandte waren vorbei, seit sie nach der Wende das riesige Grundstück im Osten Berlins verkauft hatte. Die baufällige alte Villa samt Plumpsklo war damals sofort abgerissen worden. Ein Glück! Ulrike erinnerte sich an viele gruselige Stunden dort.
Zu ihrem heutigen Ehrentag hatte die Tante ein ganzes Schiff der Berliner Reederei Riedel gemietet. Für drei Stunden würde es die Festgäste an diesem herrlichen Julinachmittag über die Spree und den Landwehrkanal schippern. Das Freiluftoberdeck sah wunderschön aus: Weiß eingehusste Tische und Stühle, grüne Akzente mit edlen Palmen und Farnen. Da könnte einem das Herz aufgehen. Es sei denn, man wäre lieber woanders. So wie Ulrike jetzt gerne in Köln bei ihrer Mama im Krankenhaus wäre. „Kommt gar nicht in Frage“, hatte ihr Stiefpapa Lutz gestern gesagt. „Ich bin da und kann den gebrochenen Fuß von Frederike streicheln. Du fährst mal schön nach Berlin und vertrittst deine Mutter!“ Seufzend hatte Ulrike sich in ihr einsames Schicksal ergeben. Ihr Gatte ist auf Geschäftsreise, Söhnchen macht ein Auslandssemester – den letzten beißen die Hunde.       
„Ulrike! Schön, dass du es doch noch geschafft hast! In deinem Alter läuft es sich in High Heels wohl nicht mehr so flott? Und warum hast du dich in ein  Etuikleid gezwängt?“ Super. Rose-Marie hatte sie erspäht. Ulrike hob ihr Sektglas und ließ es gegen das der Tante scheppern. „Herzlichen Glückwunsch – Tantchen! Den Modemut habe ich wohl von dir abgeguckt.  So ein ärmelloser Einteiler ist ja gewagt jugendlich -  hat was von einem Strampelanzug.“ Im Stillen musste Ulrike zugeben, dass der schwarze Overall und der bunte Seidenschal der sportlichen alten Dame sehr gut standen.    
Ehe Rose-Marie zu einer spitzen Entgegnung ansetzen konnte, mischte sich ein Mann in den Schlagabtausch, der bisher lässig an der Reling gelehnt hatte. Ulrike hatte ihn schon aus dem Augenwinkel wahr genommen und war schwer beeindruckt. So ein attraktives Exemplar hatte sie schon lange nicht mehr in echt gesehen: Groß, sportlich, volles dunkles Haar, graue Schläfen und ein Grübchen im markanten Kinn. Als er sich zu den Beiden stellte, blickte sie in leuchtend blaue Augen. Wow! „Mutter, du wirst unter Deck gebraucht“, sagte er zu ihrer Tante, „du musst das Büffet begutachten.“ „Willst mich wohl los werden“, grummelte Rose-Marie, schob dann aber doch ab. „Mutter?“, fragte Ulrike völlig fassungslos, „du bist Erik? Mein kleiner Vetter?“ „Klein ist gut“, grinste Erik, der sie mindestens um einen Kopf überragte. „Freut mich, dass du mich nicht wiedererkannt hast! Als wir uns zum letzten Mal gesehen haben, war ich 13, pickelig und ungelenk. Du hast dich zum Glück nicht so sehr verändert. Hast immer noch diese Ähnlichkeit mit Doris Day.“ „Und eine 53-jährige Doris Day findest du gut?“  So, wie Erik sie anschaute, bestand kein Zweifel, dass er seine Cousine sogar attraktiv fand. Und das war auch früher schon so gewesen, erinnerte sie sich. Sie hatte es lästig gefunden.
So, wie ihr alles lästig gewesen war, was mit Tante Rose-Marie und Woltersdorf, dem Geburtsort ihrer Mutter, zusammen hing. Jedes Jahr hatte sie mit Frederike diese Reise nach Brandenburg unternehmen müssen:  Von Köln mit dem Zug die Transitstrecke bis in die „Hauptstadt der DDR“, dann die Einreiseformalitäten am Bahnhof Friedrichstraße. Am Ende stand die holprige Fahrt mit der alten Straßenbahn bis Woltersdorf. Als kleines Kind war Ulrike immer völlig verstört gewesen, wenn die unfreundlichen, schwer bewaffneten Grenzbeamten sie kontrollierten. Als Teenager fand sie die DDR einfach nur trostlos. Seit sie 18 geworden war, hatte sie die Verwandtenbesuche verweigert.
„Mutter kann dich eigentlich gut leiden“, behauptete Erik gerade. „Ja klar! Deswegen hat sie mich früher bei jeder Gelegenheit runter geputzt! Und gerade wieder!“ „Na ja – schließlich warst du der Grund dafür, dass ihre geliebte kleine Schwester kurz vor dem Mauerbau rüber gemacht hat.“ „Einspruch“, rief Ulrike empört. „Im August 1961 war ich ein winziger Embryo!“ Frederike war damals 19 gewesen. Sie hatte sich in den jungen Studenten aus Köln verliebt, der für eine Weile bei seinen Großeltern in Woltersdorf zu Besuch war. Als ihr klar wurde, dass sie schwanger war, war der junge Mann längst wieder im Westen. Frederike hoffte, ihn in Köln zur Heirat zu bewegen. Das hatte nicht geklappt, aber Frederike gefiel es am Rhein und sie beschloss, zu bleiben. Das hatte vor allem etwas mit Lutz zu tun… „Bei Liebeskummer handelt man schon mal unvernünftig“, sagte Erik. „Ich zum Beispiel hatte ein Foto von dir unter meinem Kopfkissen.“ Ulrike wurde rot. Der Mann kann aber auch intensiv gucken!  Erik hatte übrigens eine umwerfend rassige Ehefrau und zwei bildschöne Töchter. Die konnte sie nur auf Fotos bewundern. Sie waren zurzeit anlässlich einer Taufe bei der italienischen Familie in Mailand.
Später am Abend bummelten Cousin und Cousine „Unter den Linden“ bis zum Brandenburger Tor. Ulrike hatte ihre High Heels gegen Flipflops ausgetauscht und fühlte sich herrlich unbeschwert. „Früher war es hier so trostlos“, sagte Erik. „Wie oft habe ich hier gestanden und sehnsüchtig auf die andere Seite des Tores in die Freiheit gestarrt.“ Und Ulrike, die sich plötzlich erinnerte, dass ihr kleiner Vetter Fan von Lindenberg gewesen war, sang – nicht treffend, trotzdem passend:  

„Mädchen aus Ostberlin, das war wirklich schwer. Ich musste gehen, obwohl ich so gerne noch geblieben wär. Ich komme wieder...und vielleicht geht's auch irgendwann mal ohne Nerverein. Da muss doch auf die Dauer was zu machen sein.“

Montag, 27. Juli 2015

Gastfreundschaft - wie geht das?

HERZLICHE EINLADUNG

Für Leila und Masoumeh

Wenn ihr mögt, hole ich euch Mittwoch um 16.00 am Penny-Parkplatz ab.
Wir fahren dann zu mir nach Hause. Gegen 17.30 machen wir ein deutsches „Abendbrot“ (Brot, Brötchen, Käse, Wurst vom Hühnchen…)
Und ich fahre euch gegen 18.30 wieder zum Penny-Parkplatz.
Ich würde mich freuen, wenn ihr meine Gäste seid. Und bitte: bringt nichts mit. Kein Geschenk. Ich möchte einfach nur gastfreundlich sein. Und freue mich auf einen „Frauennachmittag“.

Das ist jetzt mal ein Versuch von mir, "offiziell" zwei liebe iranische Frauen so einzuladen, dass keine Fragen offen bleiben. Bin gespannt, ob das funzt. Im Iran ist es üblich, teure Gastgeschenke zu machen. Und das können sich die Beiden nicht leisten. Noch immer warten sie auf ihren Pass - und somit auch auf die Chance zu arbeiten. 
Die Beiden sind Nachbarinnen in ihrer Flüchtlingsunterkunft. Leila ist Mitte 30 und wird gerade Christin. Ich denke, weil ihr Mann das hilfreich findet. Leila ist nur wegen ihm aus dem Iran geflohen. Ihr selbst und ihren Eltern ging es ganz gut. Leila hatte sogar ein eigenes Auto. Aber ihr Mann war dem Staat halt ein Dorn im Auge...
Masoumeh ist 40 und mit ihrer Tochter vor gut einem Jahr nach Deutschland gekommen. Die genaue Geschichte weiß ich noch nicht. Jedenfalls ist sie Anwältin. Um als solche bei uns wenigstens mal ein Praktikum machen zu können, muss sie anspruchsvolle Deutschprüfungen bestehen. 
Unterhalten kann man sich auf deutsch mit beiden Frauen schon erstaunlich gut. Ich habe große Hochachtung vor der Intelligenz und dem Fleiß der Beiden. Mein Traum ist, dass ich ihnen einfach durch "Plaudern" helfen kann, im Deutschen perfekter zu werden. Und ich hoffe, ein "deutsches Abendbrot" kann dabei eine natürliche Brücke werden. 
  



Sonntag, 5. Juli 2015

Zeitreisen sind DOCH möglich

Vor über 30 Jahren waren wir eine eingeschworene Gemeinschaft: Die Fussballer des ersten sportmissionarischen Teams von SRS mit ihren damaligen Freundinnen. Der Gatte und ich haben schöne Erinnerungen an Einsätze in ganz Deutschland mit einer wunderbaren Truppe.
Heute sind die meisten dieser Paare eben schon über 30 Jahre verheiratet.
In dieser Woche trafen wir uns zu drei dieser "Ehemaligen-Paare" im Hotel Glockenspitze im Westerwald. Dieses Sporthotel gehört heute zu SRS.

www.glockenspitze.de

Beim gemeinsamen Abendessen war es so, als hätte es diese 30 Jahre nicht gegeben. Die Vertrautheit von früher war sofort wieder da - und die vielen "wisst-ihr nochs" machten einfach nur Spaß. Natürlich haben wir alle unterdessen unsere Leben gelebt - mit Höhen und Tiefen. Der Gatte und ich waren die Einzigen ohne Enkel - und Enkel bringen ja noch mal richtig viel Neues ins Leben. Trotzdem waren wir an diesem Abend nur "wir". Und es tat gut zu erleben, dass über 30 Jahre unterschiedliche Entwicklung für eine Beziehung keine Rolle speilen müssen.