Am Wochenende bin ich auf einer Tagung. Dort gibt es für die Teilnehmer die Möglichkeit, sich an einem "Pecha Kucha"- Abend zu beteiligen. "Pecha Kucha" ist eine interessante Möglichkeit, einen Vortrag zu halten. Der hangelt sich entlang an 20 Bildern, die für 20 Sekunden stehen bleiben, bevor es weiter geht. So ein Vortrag dauert also 6 Minuten und 20 Sekunden. Es ist klar, dass man sich für diese Form kurz fassen können muss!
Ich glaube, dass ich das kann. Und hoffe, dass mein Text auch ohne die passenden Bilder eine gute Geschichte erzählt. Hier der Text:
EINS:
HINTERM HORIZONT
startet mit einer Kindheitserinnerung:
Paketberge
Die wurden von Mama gepackt.
Sie gingen in ein völlig fremdes Land.
Das lag zwar „um die Ecke“.
Aber dort gab es keine Bananen.
Die Pakete gingen in meiner Heimatstadt auf die Reise.
ZWEI:
Iserlohn liegt im Sauerland mit besonders engen Tälern.
Ähnlich eng ist es dort in manchen Köpfen.
Mein Horizont war besonders eng, denn ich bin in einer
strengen Brüdergemeinde aufgewachsen.
„Kunst“ kam dort irgendwie nicht vor.
DREI:
Die Pakete gingen nach Sachsen.
In der „Ostzone“ lebten gute Freunde meiner Eltern.
Die guckten heimlich Westfernsehen. Auch das hat ihren
Horizont geweitet.
Vor der Wende war ihre Heimatstadt grau und trist.
Das Bunteste war die Bierwerbung.
VIER:
Manchmal fuhren Papa und ich „Transit“ durch die DDR.
Dann trafen wir uns mit Familie Pfeiffer in Ostberlin.
Auf DDR-Gebiet hatte ich immer Angst:
„Was ist, wenn die grimmigen Soldaten mich hier nicht
wieder raus lassen?“
Die Vorstellung, in diesem „Gefängnisland“ bleiben zu
müssen, hat mich sehr bedrückt.
FÜNF:
Bedrückend fand ich auch Ostberlin.
Was für ein Gegensatz zu dem Weltstadtflair auf dem
Kudamm!
Der hat mich als Iserlohner Landpomeranze natürlich
beeindruckt!
Aber Ostberlin war schlimmer als Iserlohn.
Groß, kalt, leer – und traurig.
SECHS:
Am traurigsten: Das Brandenburger Tor.
Dieses Bauwerk mit fünf breiten Durchfahrten sollte eine
Verbindung sein.
Gedacht für ein Hin und Her, ein Symbol für Begegnung.
Vor der Wende war es bloß unerreichbar für uns.
Niemandsland, Todeszone.
SIEBEN:
Zehnte Klasse, Gymnasium: Klassenfahrt nach Berlin.
Wir hatten viel Spaß in der „Westzone“.
Aber natürlich mussten wir auch einen Tag „rüber“.
Das war für mich das erste Mal ein Grenzgang als
Fußgänger.
Über S-Bahnhof Friedrichstrasse. GRUSELIG!
ACHT:
Papa und ich sind auch mal direkt bei Familie Pfeiffer
gewesen.
Die Kreisstadt Karl-Marx-Stadt, die uns stolz präsentiert
wurde,
hat mich so gar nicht vom Hocker gerissen.
Auch nicht der monumentale Kopf von Marx.
Fröhlich macht was anderes!
NEUN
Nun war meine Heimatstadt ja auch nicht das Gelbe vom Ei.
Aber wir hatten auf jeden Fall das bessere Bier! Und die
buntere Werbung.
Und: Wir konnten Iserlohn jederzeit verlassen.
Sogar die ganze Welt bereisen, wenn wir wollten!
ZEHN
Warum ich trotz Beklemmung immer wieder mit bin in die
DDR?
Ehepaar Pfeiffer hatte Kinder in meinem Alter.
Die waren witzig und liebenswert. Wenn wir zusammen waren
und klönten, war das Gefängnis vergessen.
Oft habe ich davon geträumt, dass es die Mauer nicht mehr
gibt.
Dass diese liebenswerte Familie auch einfach mal uns
besuchen kann.
ELF:
Mit mir träumte einer, den ich damals gar nicht auf dem
Schirm hatte.
Udo.
Bei meinem engen, frommen Horizont kam ein „Rockrebell“
mit einem „Panikorchester“ natürlich nicht vor.
Auch nicht Texte wie:
„Und Lola hat Geburtstag – und man trinkt darauf, dass
sie wirklich mal so alt wird, wie sie jetzt schon aussieht.“
ZWÖLF:
„Und überhaupt ist heute wieder alles klar, auf der
Andrea Doria“.
Udos „Likörelle“ muss man nicht schön finden.
Aber irgendwann Anfang der 80er fand sogar mein Papa Udo
gut!
Immer mal wieder kicherte Väterchen vergnügt vor sich
hin:
„Hallo Erich, kannst mich hörn? Hallololöchen-Hallo!“
DREIZEHN:
Und dann hat der Udo dem Honecker in Wuppertal eine
Gitarre geschenkt.
Dazu prägte Udo den Spruch: Gitarren statt Knarren.
Später durfte Udo dann tatsächlich im Friedrichspalast
auftreten. Allerdings nicht mit:
„Honi – du schließt dich ein auffem Klo und hörst
West-Radio!“
VIERZEHN
Udos Bemühungen fanden später Anerkennung im vereinten
Deutschland.
Nicht nur, dass es eine Udo-Briefmarkenedition gab -
mit dem Sonderzug nach Pankow.
1989 bekam Udo das
Bundesverdienstkreuz.
FÜNFZEHN
So freundlich sieht es heute aus um diesen früher so
ätzenden Grenzbahnhof Friedrichstrasse.
Für mich ist es auch nach 25 Jahren Mauerfall immer noch
ein Wunder,
durch dieses „neue“, einladende Ostberlin zu spazieren.
SECHZEHN
Immer, wenn ich in Berlin bin, bummel ich ausgiebig „Unter den Linden“ lang.
Dann stehe ich eine Weile andächtig unterm Brandenburger
Tor.
Und feiere das Leben.
Udo feiert auch gerne.
SIEBZEHN
Sein Lebensstil war nicht immer vorbildlich.
Dazu sein Freund Erwin Hilbert, der später Christ wurde:
„Irgendwann fragte Udo mich mal: Wie findet Gott eigentlich
unseren Lebensstil?
- Nicht gut! -
Wir trösteten uns mit der Feststellung, dass Salomo ja
auch 1000 Frauen gehabt hat.“
ACHTZEHN
Udo setzt sich auch für Schwache ein.
Nicht nur für UNICEF, Afrika oder gegen Rechts.
Auch privat.
Nochmal sein Freund Erwin:
„Der Tag kam und ich sagte Udo, dass ich ihn beklaut
hatte.
Er verzieh mir und rechnet mir bis heute nichts an.
Hier können Christen etwas von ihm lernen.“
NEUNZEHN
2008 haben mein Mann und ich Udo für uns neu entdeckt.
Wir haben „Stark wie Zwei“ auf längeren Autofahrten rauf
und runter gehört.
Wir mögen die Mucke und die Texte.
Die Denkanstöße, den Witz, die Selbstironie.
ZWANZIG
Letztes Jahr saßen der Gatte und ich dann im Udo-Musical.
Ich schäme mich nicht zuzugeben: Das war Spitze!
Ein unterhaltsamer Einblick in die deutsch-deutsche
Geschichte.
Bad Taste? So what!
Ich schließe mich von Herzen dem Gebet von Erwin an:
„Bitte, Gott, kümmer dich um dein schwarzes Schäfchen mit
dem Hut! AMEN!“