Montag, 24. Februar 2014

Hinterm Horizont...

...ich traue mich mal was zu probieren, was ich noch nie gemacht habe! Das ist aufregend - und trotz Angst ein gutes Gefühl!
Am Wochenende bin ich auf einer Tagung. Dort gibt es für die Teilnehmer die Möglichkeit, sich an einem "Pecha Kucha"- Abend zu beteiligen. "Pecha Kucha" ist eine interessante Möglichkeit, einen Vortrag zu halten. Der hangelt sich entlang an 20 Bildern, die für 20 Sekunden stehen bleiben, bevor es weiter geht. So ein Vortrag dauert also 6 Minuten und 20 Sekunden. Es ist klar, dass man sich für diese Form kurz fassen können muss!
Ich glaube, dass ich das kann. Und hoffe, dass mein Text auch ohne die passenden Bilder eine gute Geschichte erzählt. Hier der Text:

EINS:
HINTERM HORIZONT
startet mit einer Kindheitserinnerung:
Paketberge
Die wurden von Mama gepackt.
Sie gingen in ein völlig fremdes Land.
Das lag zwar „um die Ecke“.
Aber dort gab es keine Bananen.
Die Pakete gingen in meiner Heimatstadt auf die Reise.

ZWEI:
Iserlohn liegt im Sauerland mit besonders engen Tälern.
Ähnlich eng ist es dort in manchen Köpfen.
Mein Horizont war besonders eng, denn ich bin in einer strengen Brüdergemeinde aufgewachsen.
„Kunst“ kam dort irgendwie nicht vor.

DREI:
Die Pakete gingen nach Sachsen.
In der „Ostzone“ lebten gute Freunde meiner Eltern.
Die guckten heimlich Westfernsehen. Auch das hat ihren Horizont geweitet.
Vor der Wende war ihre Heimatstadt grau und trist.
Das Bunteste war die Bierwerbung.

VIER:
Manchmal fuhren Papa und ich „Transit“ durch die DDR.
Dann trafen wir uns mit Familie Pfeiffer in Ostberlin.
Auf DDR-Gebiet hatte ich immer Angst:
„Was ist, wenn die grimmigen Soldaten mich hier nicht wieder raus lassen?“
Die Vorstellung, in diesem „Gefängnisland“ bleiben zu müssen, hat mich sehr bedrückt.

FÜNF:
Bedrückend fand ich auch Ostberlin.
Was für ein Gegensatz zu dem Weltstadtflair auf dem Kudamm!
Der hat mich als Iserlohner Landpomeranze natürlich beeindruckt!
Aber Ostberlin war schlimmer als Iserlohn.
Groß, kalt, leer – und traurig.

SECHS:
Am traurigsten: Das Brandenburger Tor.
Dieses Bauwerk mit fünf breiten Durchfahrten sollte eine Verbindung sein.
Gedacht für ein Hin und Her, ein Symbol für Begegnung.
Vor der Wende war es bloß unerreichbar für uns.
Niemandsland, Todeszone.

SIEBEN:
Zehnte Klasse, Gymnasium: Klassenfahrt nach Berlin.
Wir hatten viel Spaß in der „Westzone“.
Aber natürlich mussten wir auch einen Tag „rüber“.
Das war für mich das erste Mal ein Grenzgang als Fußgänger.
Über S-Bahnhof Friedrichstrasse. GRUSELIG!

ACHT:
Papa und ich sind auch mal direkt bei Familie Pfeiffer gewesen.
Die Kreisstadt Karl-Marx-Stadt, die uns stolz präsentiert wurde,
hat mich so gar nicht vom Hocker gerissen.
Auch nicht der monumentale Kopf von Marx.
Fröhlich macht was anderes!

NEUN
Nun war meine Heimatstadt ja auch nicht das Gelbe vom Ei.
Aber wir hatten auf jeden Fall das bessere Bier! Und die buntere Werbung.
Und: Wir konnten Iserlohn jederzeit verlassen.
Sogar die ganze Welt bereisen, wenn wir wollten!

ZEHN
Warum ich trotz Beklemmung immer wieder mit bin in die DDR?
Ehepaar Pfeiffer hatte Kinder in meinem Alter.
Die waren witzig und liebenswert. Wenn wir zusammen waren und klönten, war das Gefängnis vergessen.
Oft habe ich davon geträumt, dass es die Mauer nicht mehr gibt.
Dass diese liebenswerte Familie auch einfach mal uns besuchen kann.

ELF:
Mit mir träumte einer, den ich damals gar nicht auf dem Schirm hatte.
Udo.
Bei meinem engen, frommen Horizont kam ein „Rockrebell“ mit einem „Panikorchester“ natürlich nicht vor.
Auch nicht Texte wie:
„Und Lola hat Geburtstag – und man trinkt darauf, dass sie wirklich mal so alt wird, wie sie jetzt schon aussieht.“

ZWÖLF:
„Und überhaupt ist heute wieder alles klar, auf der Andrea Doria“.
Udos „Likörelle“ muss man nicht schön finden.
Aber irgendwann Anfang der 80er fand sogar mein Papa Udo gut!
Immer mal wieder kicherte Väterchen vergnügt vor sich hin:
„Hallo Erich, kannst mich hörn? Hallololöchen-Hallo!“

DREIZEHN:
Und dann hat der Udo dem Honecker in Wuppertal eine Gitarre geschenkt.
Dazu prägte Udo den Spruch: Gitarren statt Knarren.
Später durfte Udo dann tatsächlich im Friedrichspalast auftreten. Allerdings nicht mit:
„Honi – du schließt dich ein auffem Klo und hörst West-Radio!“

VIERZEHN
Udos Bemühungen fanden später Anerkennung im vereinten Deutschland.
Nicht nur, dass es eine Udo-Briefmarkenedition gab -
mit dem Sonderzug nach Pankow.
1989  bekam Udo das Bundesverdienstkreuz.

FÜNFZEHN
So freundlich sieht es heute aus um diesen früher so ätzenden Grenzbahnhof Friedrichstrasse.
Für mich ist es auch nach 25 Jahren Mauerfall immer noch ein Wunder,
durch dieses „neue“, einladende Ostberlin zu spazieren.

SECHZEHN
Immer, wenn ich in Berlin bin, bummel ich ausgiebig  „Unter den Linden“ lang.
Dann stehe ich eine Weile andächtig unterm Brandenburger Tor.
Und feiere das Leben.
Udo feiert auch gerne.

 SIEBZEHN
Sein Lebensstil war nicht immer vorbildlich.
Dazu sein Freund Erwin Hilbert, der später Christ wurde:
„Irgendwann fragte Udo mich mal: Wie findet Gott eigentlich unseren Lebensstil?
- Nicht gut! -
Wir trösteten uns mit der Feststellung, dass Salomo ja auch 1000 Frauen gehabt hat.“        

ACHTZEHN
Udo setzt sich auch für Schwache ein.
Nicht nur für UNICEF, Afrika oder gegen Rechts.
Auch privat.
Nochmal sein Freund Erwin:
„Der Tag kam und ich sagte Udo, dass ich ihn beklaut hatte.
Er verzieh mir und rechnet mir bis heute nichts an.
Hier können Christen etwas von ihm lernen.“

NEUNZEHN
2008 haben mein Mann und ich Udo für uns neu entdeckt.
Wir haben „Stark wie Zwei“ auf längeren Autofahrten rauf und runter gehört.
Wir mögen die Mucke und die Texte.
Die Denkanstöße, den Witz, die Selbstironie.

ZWANZIG
Letztes Jahr saßen der Gatte und ich dann im Udo-Musical.
Ich schäme mich nicht zuzugeben: Das war Spitze!
Ein unterhaltsamer Einblick in die deutsch-deutsche Geschichte.
Bad Taste? So what!
Ich schließe mich von Herzen dem Gebet von Erwin an:
„Bitte, Gott, kümmer dich um dein schwarzes Schäfchen mit dem Hut!  AMEN!“

   


Samstag, 1. Februar 2014

Was für ein Luxus: Zeit haben

Vorgestern gegen 14.00: Ich hatte beschlossen, noch schnell in den Blumenladen zu flitzen. Zehn Tulpen wollte ich haben, um den Esstisch fürs Wochenende zu verschönern.
Der Laden war leer. Vor mir nur ein junger Mann in oranger Gummi-Arbeitshose, mit olivgrünem Parker und schwarzer Schlumpf-Wollmütze. "Das geht fix", dachte ich. Dann fiel mein Blick auf den Arbeitstisch und die Floristin. Der Tisch quoll über von Grün und Schleierkraut, die junge Dame war gerade damit beschäftigt, überflüssige Blätter von Blumen abzustreifen. Auf dem Tisch türmten sich bald sieben langstielige rosa Rosen, genauso viele pinke Rosen, pinke Gerbera und zwei Sorten lila Blumen, deren Namen ich nicht kenne.
Ich begann zu ahnen, dass es wohl doch noch ein Weilchen dauern würde, bis ich meine nackten Tulpen erwerben konnte.
Und das total Geniale: Es war mir egal! Ich war morgens schon beim Sport gewesen, hatte mit Mutter ihren Wocheneinkauf erledigt, hatte ausgiebig mit ihr zu Mittag gegessen. Ich hatte noch einen Schreibauftrag zu erledigen - aber da kam es auf ne halbe Stunde nicht an. Ich hatte an diesem Tag keinen Druck mehr im Nacken und konnte - warten.
Die Dame, die nach mir in den Laden kam, konnte das nicht. Nach fünf Minuten hat sie das Geschäft entnervt verlassen. Ich dagegen hatte die Muße, mir anzugucken, wie die Blumenkünstlerin aus dem ganzen Wirrwarr für den jungen Mann einen Strauß gebunden hat. Zum Schluss hatte sie ein irre dickes Bündel aus Stielen in der Hand. Ich habe die Kunst bewundert, mit der sie es festgehalten, am Ende zusammen gebunden und dann auf die gewünschte Länge beschnitten hat. Mir wäre dieses Bündel aus der Hand gefallen.  
Und dieser Strauß in rosa-pink-lila sah am Ende so schön aus! Der junge Mann hat dann genau 50 Euro dafür hin blättern müssen. Das hatte er offensichtlich so geplant, denn er strahlte begeistert, als er mit dem fetten Strauß aus dem Laden ging. Was mich dann wieder dazu brachte, mir Geschichten auszudenken. Für wen mag dieser wunderschöne Blumenstrauß wohl bestimmt gewesen sein?
Den ganzen Rest des Tages bin ich "geschwebt". Was für ein Geschenk, mitten im Alltag mal sagen zu können: Es kommt nicht auf zehn Minuten an. Und in Ruhe zu bewundern, wie gut andere Menschen ihre Arbeit machen. Ich habe die Floristin dann auch noch sehr für ihr Werk gelobt. Und habe nun im meiner Stadt eine neue wohlwollende Bekannte. :-)