Mittwoch, 6. Oktober 2010

Hofnarren-Geplauder: Leben im Gemeindehaus

Zu den liebenswertesten Zügen eines normalen Gemeindemenschen gehört die starke emotionale Bindung an das Gemeindehaus. Für viele von uns ist es quasi ein ausgelagertes Wohnzimmer. Rein logisch betrachtet ist das gar nicht so verwunderlich. Wer über Jahre Monat für Monat brav seinen Zehnten abliefert, darf nach einiger Zeit mit Fug und Recht von MEINEN fünf Stühlen sprechen – oder von MEINEM Beamer. Und während der Beamer meist hoch oben an der Decke hängt und somit nicht so einfach kurzzeitig für private Zwecke zu entfernen ist, verhält sich das mit Gegenständen in Greifnähe ganz anders.

So kommt es zu dem Phänomen, dass in kaum einer Gemeindeküche Haushaltsscheren zu finden sind. Und das, obwohl so etwa alle 14 Tage eine gute Seele ein neues Exemplar in der Schublade mit dem Küchengarn und dem Tesa deponiert. Zumindest ist es die Schublade, wo diese beiden Rollen zu finden sein sollten. Aber die sind auch nie da. In Waschmaschinen verschwinden auf mysteriöse Art regelmäßig rechte oder linke Socken. Und ein Gemeindehaus ist ein schwarzes Loch für Werkzeuge aller Art.

Das Loch schluckt aber auch weniger praktische Dinge. Genervte Dekoteams wissen ein Lied davon zu singen, auch der Kostümfundus in Theaterschränken schrumpft. Meistens fehlen die hässlichsten Mützen und die Engelsflügel aus vergoldeter Pappe. Anders als Socken nach der Wäsche taucht so was aber nicht selten wieder auf. Allerdings leicht ramponiert. So vermisste eine Gemeinde in Norddeutschland neulich zwei Trennwände zwischen Urinalen. Diese fanden sich dann per Zufall mit abgebrochenen Füßen in der hintersten Ecke eines Abstellraums. Ein unbekanntes gutes Herz verschraubte sie wieder am angestammten Platz. Auch Heinzelmännchen fühlen sich zuhause in der Gemeinde…

Diese Heinzelmännchen sind für Wunder aller Art verantwortlich. Manchmal gibt es plötzlich Dinge im Gemeindehaus, die vorher dort nicht existierten. Auf solch wundersame Art erscheinen gerne großgewachsene Pflanzen. Am Tag vorher war noch alles wie immer – und über Nacht sind sie da. Entweder stehen sie im Foyer herum oder direkt neben der Kanzel. In der Regel sind sie imponierend hoch – zu hoch für normale Wohnzimmer – aber wirken ansonsten eher spärlich, ein bisschen schwach auf der Brust und irgendwie verhungert.

Eine ähnliche Überraschung erlebte ein Putzteam neulich zwischen zwei Diensten. Beim letzten Mal war noch alles in Ordnung gewesen, aber jetzt hockten sie dort: Auf der erhöhten Fensterbank, direkt visavis der ohnehin schon geschändeten Urinale lauerten zwei Porzellanfische. Sie waren glänzend weiße Seifenspender, mit großen Köpfen, blau angemalten Glupschaugen und dicken rosa Kussmäulern. Irgendwo hatten Heinzelmännchen ein Badezimmer renoviert und es nicht übers Herz gebracht, die Fische zu entsorgen. Vielleicht sind sie ja Familienerbstücke?

Da fällt mir ein: Ich habe noch das Bildnis eines röhrenden Hirschen von Opa im Keller. Passt nicht in mein Wohnzimmer, ist aber zu schade zum Wegschmeißen. Und diese eine Wand im Gemeindefoyer wirkt doch immer so kahl…

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