Dienstag, 31. August 2010

Großes Kino beim Frisör um die Ecke

Hauptdarsteller: Der Gärtner, der kein Gärtner ist und ich

Heute morgen saß ich um 9.15 gut gelaunt beim Frisör. Endlich war mal wieder ein herrlicher Sonnentag und ich freute mich auf die Einwirkzeit meiner Tönung.
Die braucht so 40 Minuten, um ihre Wirkung zu entfalten. 40 Minuten, die ich plante, auf der Terrasse meines Frisörsalons in der Sonne zu verbringen.
Alles ließ sich prima an. Meine Lieblingsfriseuse stellte mir einen Stuhl in die Sonne, polsterte ihn mit weichen Kissen, schleppte ein Tischchen herbei, einen Kaffee und die aktuelle Gala. Herrlich! Ein Stück Ferien, mitten im Alltag.
So dachte ich, bis der Gärtner, der kein Gärtner ist, in seiner kleidsamen blauen Arbeitslatzhose mit Geschepper auf der Terrasse erschien. Das Geschepper kam von einem gasbetriebenen Flammenwerfer, den er hinter sich her zerrte. Der Mann musterte mich in meinem ebenfalls kleidsamen, schwarzen Frisierumhang. Ich glaube, ich sah aus wie eine Krähe mit Creme Fraiche auf dem Schädel.
Er startete die im weiteren Verlauf recht einseitige Konversation mit einem Mörderwitz:
"Klasse, beim Frisör in der Sonne zu sitzen. Da werden die Haare schön braun!" Manchmal kann ich schlagfertig sein, aber nicht, wenn ich einfach bloß in Ruhe eine Zeitschrift durchblättern will. Ich habe also irgendwas gegrummelt. Der Gärtner, der kein Gärtner ist, hat das als Aufforderung verstanden, mir aus seinem Leben zu erzählen. Dass er hier nur aus Hobby gärtnert, um der Chefin, die eine Freundin ist, einen Gefallen zu tun. Dass er eigentlich Oldtimer verkauft - aber nur an Leute, die zu den alten Autos passen. Dass er die Herzen der Maschinen kennt und sicher gehen muss, dass zu den neuen Besitzern Seelenverwandschaft besteht.
So ging das in einer Tour und es war dem Mann wirklich völlig egal, ob mich seine Geschichten interessierten oder nicht.
Irgendwann hat er sich dann mal wieder an seine Arbeit erinnert. Er schmiß den Flammenwerfer an und vernichtete das Unkraut zwischen den Steinplatten. Dabei zog er immer engere Kreise um mein so liebevoll hergerichtetes Plätzchen an der Sonne.
Kurz bevor er mir die Füße abfackelte, machte er seinen zweiten Mörderwitz: "Ich habe noch nie um eine Frau herum geflämmt."
Für einen winzigen Augenblick wurden wir dann doch zu einem Team. Wir schoben Tisch und Stuhl einfach dorthin, wo er schon emsig gearbeitet hatte. Dann klingelte sein Handy - und die letzten 15 Minuten in meiner Oase, die so richtig keine war, beschallte er mich noch indirekt.

Ich finde Nächstenliebe echt wichtig. Jesus hat sie uns geboten und ich sehe ein, dass das gut und sinnvoll ist. Aber manchmal ist es leichter, Nächste zu lieben, die weit weg sind.
Den Gärtner, der keiner ist, werde ich wohl frühestens nächste Woche lieben können. Falls ich ihn bis dahin nicht wieder sehe. Und falls die Begegnung mit ihm im Rückblick komischer und komischer erscheint. Ein bisschen grinsen muss ich jetzt schon!

6 Kommentare:

eppendorfer hat gesagt…

Wenn das mit dem 'Lieben' nicht wäre...
Wie soll das denn in der Praxis aussehen, das 'Lieben'?
Hiesse das 'ertragen', also duldvoll leiden?
Oder auf so einen Menschen eingehen und ihn dadurch ermutigen noch mehr Dinge zu erzählen die uns nicht interessieren?
Oder ihn auf nette Weise sagen, das er nervt und die Klappe halten möge?
Als Jesus die Geldwechsler und Souvenir-Händler aus dem Tempel verjagte, hat er sie dann trotzdem geliebt?
Wie weit, liebe Annkatrin, bist du inzwischen schon mit dieser Form von Nächstenliebe?
Ich bewundere übrigens deine im geschilderten Fall demonstrierte Selbstbeherschung - meine Geduld wäre schon eher aufgebraucht gewesen.

Annekatrin Warnke hat gesagt…

"Wenn Vergleiche hinken, geht die Botschaft am Stock".

Dieser geniale Spruch, Mr. Eppi-DO, kommt leider nicht von mir. Aber ich habe ihn mir gut gemerkt.

Was Jesus dort im Tempel zeigte, war Heiliger Zorn - unabhängig davon, ob er die Geldwechsler liebte oder nicht. Sie hatten Gott beleidigt und das musste mal gesagt werden!
Beim Frisör war ich hingegen bloß genervt von einem Menschen, der nix Blasphemisches gesagt oder getan hatte. Jesus wäre von dem nicht genervt gewesen.
Und dass ich beim Thema "Nächstenliebe" noch nicht fortgeschritten bin, sieht man ja eben an dieser Geschichte.

Annekatrin Warnke hat gesagt…

Noch was: "Lieben" heißt nicht ertragen oder duldvoll leiden.
"Lieben" ist m.E. zuerst mal eine Haltung oder Einstellung Menschen gegenüber.
Wenn die positiv ist, grundsätzlich freundlich, dem Anderen helfen will, dann MUSS man sogar manchmal was Negatives sagen.
Im geschilderten Fall bin ich noch gar nicht bei Step Zwei. Der wäre "Nächstenliebe tun".
Ich bin ja schon bei Step Eins gescheitert - "Nächstenliebe fühlen".
Ohne Step Eins wird alle Strategie und alles Getue laut Paulus in 1. Kor. 13 ja zu nutzlosem Gedröhne.
Oder was meinst du?

eppendorfer hat gesagt…

Ich bin mir nicht sicher, ob deine steps unbedingt in der Reihenfolge 'erst eins, dann zwei, dann drei' ablaufen müssen.
Wenn Nächstenliebe gebraucht wird, kann dann nicht erst das Tun wichtiger sein als der Versuch die Liebe zu empfinden? Vielleicht ergibt sich die als Folge des Tuns. Das ist übrigens das Gleichnis des barmherzigen Samariters.

Annekatrin Warnke hat gesagt…

Du hast Recht - aber ich sehe den Widerspruch zu meinen Gedanken nicht.

In jedem Fall ist es geboten, einen Menschen zu retten, wenn man kann - unabhängig davon, ob man ihn liebt.
Das würde ich aber nicht "Nächstenliebe" nennen, sondern Pflicht.
Darüber ging der barmherzige Samariter in Gesinnung UND Tat weit hinaus.

Bei keinen der Anforderungen, die Gott an uns stellt, können wir auf unserem Hintern sitzen und abwarten, bis wir die Lust dazu fühlen.
Deshalb machen "geistliche Übungen" oder "Disziplinen" m.E. Sinn. Dazu gehört auch das "Lieben". Wenn ich das nicht fühlen kann, ist das keine Entschuldigung dafür, einem Nächsten, der es braucht, nix Gutes zu tun.
Einverstanden?

eppendorfer hat gesagt…

einverstanden!